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Pavement Economies
Seit dem offiziellem Ende der Apartheid in Südafrika hat sich das Bild und damit das Leben der Stadt Johannesburg maßgeblich verändert. Die Idee, Städte und Regionen Südafrikas nach Hautfarbe und Rassenzugehörigkeit zu unterteilen begründete den „Masterplan” für die Stadtplanung unter der Apartheidsregierung. Heute noch ist die räumliche Segregation deutlich sichtbar, wenngleich sich die Grenzen verschoben haben und versuche unternommen werden, Grenzen ganz zu überwinden. Der Großteil der schwarzafrikanischen Bevölkerung lebt auch heute noch in den an den Stadträndern orientierten so genannten Townships, gleichzeitig ist die Innenstadt (Downtown) Johannesburgs seit 1994 zum schwarzafrikanischen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt geworden. So arbeiten z.B. 70% der Bewohner SOWETOS* heute in Downtown Johannesburg. Wo früher ausschliesslich die weiße Mittelschicht zu hause war, leben und arbeiten heute Menschen des gesamten afrikanischen Kontinents. Insbesondere der Zuzug aus umliegenden Krisengebieten wie Simbabwe, Moçambique und dem Kongo und von ferner liegenden Krisenherden wie Eritrea und Äthiopien streben Menschen in die südafrikanische Metropole. Aber auch die ländliche Bevölkerung Südafrikas macht sich auf den Weg nach Downtown Johannesburg in der Hoffnung, hier ein besseres Leben zu finden. Das Bild, das sich auf den Straßen Downtowns heute darstellt ist auf den ersten Blick ein chaotisches und wird daher von vielen als bedrohlich wahrgenommen. Die Bürgersteige sind von informellen HändlerInnen zum Teil vollständig besetzt, ehemalige Wohnbauten wirken auf den ersten Blick verlassen, zeigen jedoch beim Blick hinter die Kulissen, die vollständige Umnutzung und Belegung mit informellen Geschäftsstrategien. Betrachtet man das scheinbar chaotische Bild genauer, wird schnell deutlich, dass die informellen Handlungen ein hohes Mass an kreativen Strategien aufweisen. So werden z.B. einige Straßenabschnitte von einem, ebenfalls informell organisierten Straßenkomitee, bestehend aus 2-3 Händlern kontrolliert. Das Komitee teilt den einzelnen Händlern ihre Waren zu, d.h., es ist sehr unwahrscheinlich, dass innerhalb eines bestimmen Abschnittes die gleichen Güter angeboten werden. Somit wird dem Aufkommen von Konkurrenzsituationen entgegengewirkt. Möchte ein Händler sein Geschäft wechseln, muss dieses erst innerhalb des Komitees abgestimmt und beschlossen werden. Des weiteren haben einige Straßen einen „Boss”. Dieser sorgt dafür, dass räumliche Ordnungen eingehalten werden. Jeder Händler bekommt einen bestimmten Standort zugewiesen, deren Grenzen nicht überschritten werden dürfen. Auch müssen Abstände zu formellen Geschäften eingehalten, bzw. muss dafür gesorgt werden, dass ausreichend Platz auf den Bürgersteigen für die vorbeieilenden Passanten zur Verfügung steht. Diese Organisation verhindert vor allem auch enge räumliche Momente und verringert somit das Aufkommen von Kriminalität. Auf der sozial- ökonomischen Ebene ist insbesondere unter den weiblichen Händlerinnen ein hohes Maß an Kreativität und Gerechtigkeit zu beobachten. An einer Straßenecke, die Nahe einer U- Bahn Station liegt, haben sich mehrere Händlerinnen niedergelassen und vertreiben Lebensmittel, Anziehsachen, Bürobedarf, Toilettenzubehör, Süßigkeiten u.a. Die räumliche Position der Händlerin direkt am Ein- bzw.- Ausgang der U- Bahn Station ist wirtschaftlich betrachtet die Lukrativste. Die Fluktuation von potentiellen Käufern ist hier am Höchsten. Damit jede dieser Händlerinnen die gleichen Chancen des Absatzes ihrer Produkte bekommen, haben die Frauen ein Rotationssystem organisiert. Die Händlerinnen wechseln täglich ihre Positionen, so dass jede einzelne mindestens einmal die Woche am Hot Spot handeln darf. Die BürgersteighändlerInnen der Stadt Johannesburg sind „informell”, haben also keinen offiziellen Status, haben also keine Genehmigung auf der Straße Handel zu betreiben. Nichts desto trotz ist es die einzige Möglichkeit, ein Einkommen zu generieren und somit ein Überleben zu sichern. Neben dem hohen Maße an Kriminalität, dem sie tagtäglich ausgesetzt sind, der Unregelmäßigkeit eines sicheren Einkommens, den harten Arbeitszeiten und den langen Arbeitswegen ist ihre Hauptbedrohung die offizielle Stadt. Insbesondere in Hinblick auf die in 2010 stattfindende Fussballweltmeisterschaft in Südafrika, werden „Räumungsarbeiten” immer häufiger. Die Metro Police patrouilliert tagtäglich durch die Straßen von Downtown und vertreibt die auf den Bürgersteigen hockenden Geschäftstreibenden. Die Räumungsarbeiten sind gnadenlos und finden nicht selten ohne gewalttätige Übergriffe statt. Versuche mit der formellen Stadt in Verhandlungen zu treten scheitern weitestgehend; das Interesse der Stadt an einer partizipativen und vor allem sozialen Stadtentwicklung ist gering. Stattdessen ist das Interesse an einer profitorientierten Planung groß; die Innenstadt Johannesburg soll wieder für Geschäftsleute attraktiv gemacht werden. Somit werden im Rahmen des Inner- City Development- Programs Straßenzüge aufgeräumt und informell besetzte Häuser renoviert und zu horrenden Preisen auf dem Wohnungsmarkt angeboten. Diese Entwicklungen bedeuten für die vielen, die auf der Straße versuchen, ihr Überleben zu sichern neben der tagtäglichen Gefahr von gewalttätigen Übergriffen, vor allem auch eine erneute Ausgrenzung und die erneute Verweigerung der Teilhabe am städtischem Leben. * Einwohnerzahl SOWETOS nach offiziellen Angaben 2.5 Millionen; SOWETO= South Western Township ist eines der größten südafrikanischen Townships. Katharina Rohde, geboren 1977, tätig als Architektin, Künstlerin & Aktivistin in Johannesburg, Südafrika und Berlin. Arbeitet derzeit am Konzept und an der Umsetzung des Projektes „Bürgersteig-Ökonomien” mit freundlicher Unterstützung des Goethe-Instituts Johannesburg. Ausserdem tätig als Kuratorin einer Ausstellung über aktuelle Entwicklungen in Architektur und Stadtplanung in Südafrika in Kooperation mit dem deutschen Architekturzentrum Berlin (Eröffnung 2010 im DAZ). | |